Konzeption des „Arbeitskreis Mädchen in
den Städten Leer und Papenburg und im Landkreis Leer“
Leer im Januar 1994
überarbeitet im November 1999
letzte Aktualisierung März 2007
letzte Aktualisierung November 2018
I. Einleitung
Gegenwärtige Situation
Trotz formaler Gleichberechtigung der Geschlechter muss festgestellt werden, dass die Geschlechtszugehörigkeit auch heute noch bestimmendes Element für Bewegungsfreiräume,
Persönlichkeitsentwicklung und Lebensperspektiven von Jungen und Mädchen ist. Die traditionellen Rollenzuweisungen haben in subtiler Form auch weiterhin ihre Wirksamkeit, was sich in der
Zuschreibung von Fähigkeiten, Eigenschaften und Präferenzen zeigt.
Zahlreiche Untersuchungen belegen die faktische, teilweise auch unbewusste Benachteilung von Mädchen bei scheinbar bzw. vordergründig geschlechtsneutraler Ausrichtung pädagogischer
Angebote.
Die Benachteiligungen durchziehen alle Lebensbereiche. Freizeitangebote, die tendenziell eher auf Jungen ausgerichtet sind und Mädchen keine Spielräume lassen, um sich unabhängig von Jungen
erleben und ausprobieren zu können, zählen ebenso dazu wie Schule und Berufswahl. Der koedukative Unterricht, lange Zeit als großer Fortschritt gepriesen, wird im Hinblick auf die
Chancengleichheit von Mädchen und Jungen zunehmend in Frage gestellt, da sich hieraus Benachteiligungen in bezug auf die Berufswahl ableiten lassen. Die Orientierung auf bestimmte
Fächerkombinationen, die für eher als "weiblich" angesehene Berufe prädestinieren, engen die Wahlmöglichkeiten vorab ein und verstellen potentielle aussichtsreiche berufliche Perspektiven. Die
Förderung richtet sich weniger nach tatsächlichen persönlichen Interessen als aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit angenommenen Vorlieben. Vielfach wird aufkeimendes Interesse, insbesondere im
technischen Bereich, bereits im Vorfeld erstickt.
Unterschiedliche Bewertungen selbst gleichen Verhaltens von Mädchen und Jungen schränken den Verhaltensspielraum von Mädchen darüberhinaus ein.
Im Lebenszusammenhang von Mädchen kristallisieren sich außerdem Problemkreise heraus, für die sie zusätzlicher Unterstützung bedürfen, z. B. sexuelle Gewalt, frühe Schwangerschaften, unhaltbare Wohnsituationen etc.
Seit Mitte der 90er Jahre haben sich die Bedingungen für Mädchenarbeit geändert: Durch die sich ständig
verändernde Gesetzeslage sowie durch die Medienpräsenz der Thematik entsteht für die Mädchen der Eindruck der tatsächlichen Gleichberechtigung.
Die Akzeptanz der Mädchenarbeit wird hierdurch erschwert; dies zeigt sich sowohl an der Kürzung der finanziellen Mittel als auch an der Beteiligung bei Angeboten für Mädchen. Für sie ist es
schwer erträglich und kränkend anzuerkennen, dass sie nur aufgrund ihres Geschlechtes diskriminiert werden. So entsteht die absurde Situation, dass Mädchen geschlechtshomogene Angebote als
diskriminierend empfinden.
Die Konsequenz lautet nicht, die Angebote einzuschränken. Es geht darum, die für Mädchen sichtbare formale Ebene, die sie bereits für Gleichberechtigung halten, mit Leben zu füllen, um zu
tatsächlicher Gleichberechtigung zu kommen. Es geht nicht um „Gleichmacherei“ noch um Anpassung an männliche Normen, sondern um Gleichwertigkeit in der Differenz.
Gesetzliche Grundlagen
Im Juli 1984 hat die Bundesregierung eine Stellungnahme zum 6. Jugendbericht veröffentlicht.
Die Empfehlungen des 6. Jugendberichts zur Mädchenarbeit in der Jugendarbeit und Jugendhilfe haben das Ziel, Aktivitäten öffentlich anzuerkennen und zu fördern, die versuchen, Mädchen bei der
Entwicklung eines eigenständigen Lebensentwurfes zu unterstützen.
Die Empfehlungen verlangen nach einem neuen Verständnis der Arbeit mit Mädchen und haben sich in der Jugendhilfegesetzgebung niedergeschlagen.
Der § 9 Nr. 3 SGB VIII verpflichtet die Träger der Jugendhilfe bei der Ausgestaltung der Leistungen und der Erfüllung der Aufgaben der Jugendhilfe die unterschiedlichen Lebenslagen von Mädchen
und Jungen zu berücksichtigen, Benachteiligungen abzubauen und die Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen zu fördern.
Der § 2 Abs. 1 KiTaG bestimmt, dass Tageseinrichtungen die Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen erzieherisch fördern.
Die §§ 4, 10 AG, KJHG unterstützen die Einbeziehung der Gesichtspunkte der Chancengleichheit der Mädchen in die Jugendhilfe bei den Beratungen und Entscheidungen der Jugendhilfeausschüsse und des
Landesjugendhilfeausschusses. Deshalb gehört als beratendes Mitglied dem JHA entweder eine kommunale Gleichstellungsbeauftragte an oder eine in der Mädchenarbeit erfahrene Frau. Als Mitglied im
Landesjugendausschuss ist eine - vom Frauenministerium zu benennende - in der Mädchenarbeit erfahrene Frau vorgesehen. Insgesamt soll die Hälfte der Mitglieder dieser Gremien Frauen sein.
Laut des 10. Jugendberichtes von 1998 hat es Verbesserungen der Arbeit für, von und mit Mädchen gegeben, aber viele der bereits im 6. Jugendbericht benannten Mängel sind auch heute noch zu
beklagen und alte Forderungen müssen wiederholt werden. Der 10. Jugendbericht fordert daher die Quotierung der Mittel nach dem Kinder- und Jugendhilfeplan des Bundes (KJP), die gerechte
Verteilung öffentlicher Mittel und die Fortsetzung von Maßnahmen für Mädchen und junge Frauen bis die gesellschaftliche Gleichberechtigung erreicht ist.Weiterhin hat die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zum 11. Kinder- und Jugendbericht Gender Mainstreaming als Strategie genannt, um
„künftig die Grundlagen einer geschlechterübergreifenden und vom Geschlecht unabhängigen Chancengleichheit zu schaffen, die zur nachhaltigen Gleichstellung von Mädchen und Jungen, von jungen
Frauen und jungen Männern beiträgt.“ Daher wurde Gender Mainstreaming in den Kinder- und Jugendplan des Bundes verankert: „Der Kinder- und Jugendplan soll darauf hinwirken, dass Gleichstellung
von Mädchen und Jungen als durchgängiges Leitprinzip gefördert wird (Gender Mainstreaming).“
Allgemeine Aufgaben
Bislang ist es häufig so, dass Aktivitäten der Mädchenarbeit stehen und fallen mit dem Engagement einzelner Frauen. Um hier Abhilfe zu schaffen und Mädchenarbeit zum festen Bestandteil der
Jugendarbeit zu machen, hat sich der „Arbeitskreis Mädchen" gebildet, der durch Vernetzung der in diesem Bereich mit unterschiedlichen Schwerpunkten tätigen Frauen zu einer ganzheitlichen
Förderung und Institutionalisierung der Mädchenarbeit kommen will. Mädchenarbeit ist kein Zusatzangebot in der Jugendarbeit, sondern eine Querschnittsaufgabe, die immer auch eine politische
Dimension hat, mit dem Ziel, die Geschlechterhierarchie abzubauen, hier bezogen auf den Lebens- und Arbeitsbereich Jugendarbeit. Es geht um eine Wertschätzung der Sichtweise von Frauen, um der
Überbetonung der Sichtweise von Männern entgegenzutreten.
II. Ziele einer parteilichen Mädchenarbeit
Parteiliche Mädchenarbeit setzt an der besonderen Lebenswirklichkeit der Mädchen in unserer Gesellschaft
an.
Sie bemüht sich um die Schaffung eines parteilich-, mädchenspezifischen Erziehungs- und Betreuungssystems, das bei den Stärken der Mädchen ansetzt. Dabei gilt es, Ungleichbehandlungen bzw.
Benachteiligungen von Mädchen den verantwortlichen Stellen bewusst zu machen und nach Möglichkeiten für Verbesserung zu suchen.
Diese Grundaussage beinhaltet folgende Ziele einer parteilichen Mädchenarbeit:
1. Befähigung der Mädchen zur Entwicklung einer eigenen Identität.
2. Aufdeckung der scheinbaren Geschlechtsneutralität der praktizierten Koedukation und gleichzeitig Sensibilisierung für die Benachteiligung und Diskriminierung von Mädchen und Frauen.
3. Gesellschaftliche Veränderung der geschlechtshierarchischen Machtstrukturen.
4. Befreiung von männlich orientierten Handlungsmustern sowie Bewusstseins- und Bewertungsstrukturen.
5. Auseinandersetzung mit alternativen Lebensentwürfen, um Mädchen zu eigenen Entscheidungen zu befähigen.
6. Schaffung von Freiräumen für Mädchen, in denen sie unter sich sein können, um ihre Stärken und Fähigkeiten zu entdecken, weiterzuentwickeln und neue Erfahrungen zu machen.
7. Bewusstmachung der Tatsache, dass die eigene Situation nicht nur Ergebnis von individueller, sondern auch gesellschaftlicher Geschichte ist; Befähigung der Mädchen ihren Lebensweg zu
hinterfragen.
8. Ermutigung persönliche Interessen und Bedürfnisse wahrzunehmen, zu artikulieren und nach Wegen zur Durchsetzung zu suchen.
Die Aufgaben des „Arbeitskreises Mädchen in der Stadt und im Landkreis Leer“ sind demnach:
- Ansprechstelle für an der Mädchenarbeit interessierte Personen und Organisationen,Jugendämter, Jugendringe, Gleichstellungsbeauftragte und politische Gremien in Stadt und Landkreis Leer zu
sein
- Öffentlichkeit für die Belange der Mädchen zu schaffen, z.B. bei Parteien und jugendpoltischen Gremien sowie in der Bevölkerung
- Vernetzung der Mädchenaktivitäten in Stadt und des Landkreises Leer
- Planung und Durchführung von eigenen mädchenspezifischen Veranstaltungen sowie Unterstützung solcher Veranstaltungen in anderer Trägerschaft.
Auf der gesellschaftlichen sowie der gesellschafts- und fachpolitischen Ebene sind folgende Voraussetzungen
erforderlich:
- Verankerung von Mädchenarbeit als Pflichtaufgabe von Jugendhilfe
- Qualifizierung aller Fachkräfte der Kinder- und Jugendarbeit (schulisch und außerschulisch)
im Bereich geschlechtsspezifischer Pädagogik durch Fortbildung und Supervision
- Finanzielle, räumliche und organisatorische Unterstützung bei der Entwicklung von Angeboten für Mädchen und deren Durchführung
- Berücksichtigung der spezifischen Bedürfnisse von Mädchen bei Architektur und Ausstattung von öffentlichen Räumen besonders Jugendzentren/Jugendräumen
- Maßnahmen zur Aufbrechung des geschlechtsspezifisch geteilten Ausbildungs- und Arbeitsmarktes
- Schaffung von Beratungsangeboten für Mädchen in Krisensituationen.
III. Struktur- und Organisationsformen
Mitgliedschaft:
Mitglied können alle Organisationen aus der Stadt und dem LK Leer werden, deren Vertreterinnen als Fachkräfte mit Mädchen arbeiten, ob in Mädchen- oder in gemischten Gruppen, und/oder die
Aufgaben und Ziele des Arbeitskreises unterstützen.
Leitung:
Der Arbeitskreis hat keinen Vorstand. Alle Mitglieder arbeiten gleichberechtigt miteinander. Für die Außenvertretung werden für jeweils 1 Jahr zwei Sprecherinnen gewählt.
Arbeitsform:
Die Sitzungen des Arbeitskreises finden einmal monatlich statt. Es erfolgt eine schriftliche Einladung durch die Protokollführerin der vergangenen Sitzung. Die Sitzungen, die in den verschiedenen
Institutionen stattfinden, werden von der Protokollführerin der jeweils letzten Sitzung geleitet.
Jedes Mitglied ist stimmberechtigt.
Der Arbeitskreis kann Beschlüsse fassen, wenn die Hälfte der regelmäßig teilnehmenden Mitglieder anwesend ist.
Zur Beschlussfassung reicht die einfache Mehrheit.